Zwang gleich Zufriedenheit
„So not having money was sort of an incentive. You’ve got to design things yourself because you can’t go out and buy stuff like some people can.” – Steve Wozniak im Remarkable People Podcast.
Wenn man der anekdotischen Evidenz Glauben schenkt, führen Knappheit und Beschränkung in vielen Fällen zu den besten und innovativsten Lösungen. Davon berichtet nicht nur Apple-Gründer Steve Wozniak, sondern auch diverse Künstler, Autoren und Unternehmer.
Doch man muss sich nicht auf Anekdoten verlassen. Beweis für den Nutzen von Beschränkungen liefern Ferdinand Rauch et al. in ihrem Paper „The benefits of forced experimentation: striking evidence from the London Underground Network.”
Am fünften und sechsten Februar des Jahres 2014 durchzog eine Streikwelle die Londoner U-Bahn, sodass für 48 Stunden 171 von den insgesamt 270 Stationen geschlossen wurden. Dadurch waren viele Pendler gezwungen, ihre tägliche Route zum Arbeitsplatz etwas abzuändern.
Durch den Streikt mussten 243,254 Menschen an zumindest einem der beiden Streiktage einen anderen Weg zur Arbeit nehmen als gewöhnlich.[i]
Beim Großteil hat das zu einer circa 4 Minuten längeren Fahrt geführt. Doch circa 5.4% der Pendler, haben durch die Beschränkungen einen neuen und effizienteren Weg zur Arbeit gefunden. Nach dem Streik haben diese 5% ihre neue Route also beibehalten.
Im Durchschnitt haben die 243,254 vom Streik betroffenen Pendler dadurch ihre tägliche Reisezeit um 40 Sekunden verringert.[ii]
Das mag nicht viel scheinen, doch auf das gesamte Leben gerechnet kommt hier ein beachtlicher Zeitbetrag zusammen. Und ja, eine Reduzierung der täglichen Pendelzeit ist durchaus etwas Positives. So haben Bruno Frey und Alois Stutzer von der Universität Zürich gezeigt, dass ein längerer Arbeitsweg sich sehr drastisch auf die Lebenszufriedenheit auswirkt.[iii]
Darüber hinaus ist Zeit nicht der einzige Faktor. Die Pendler könnten auf ihrer Experimentierroute auch ein praktisch gelegenes Café entdeckt oder einen Bekannten getroffen haben, mit welchem sie fortan jeden Tag in die Arbeit fuhren.
Fakt ist jedenfalls, dass diese 5% durch die Beschränkung einen besseren Arbeitsweg gefunden haben.[iv]
Grund für die nicht optimierten Arbeitswege sind zum einen die klassischen U-Bahnkarten, die ein verzerrtes Bild von der geografischen Distanz geben. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler der Oxford University zeigen, dass in Bereichen, wo die Karte geografisch besonders verzerrt war, die meisten Menschen ihre Routes wechselten. Auch die Schnelligkeit der 11 U-Bahn Linien ist unterschiedlich. Hierbei ergab sich ein ähnlicher Effekt. Pendler, die normalerweise langsamere U-Bahnen benutzten, wechselten nach dem Streik eher ihre tägliche Route zur Arbeit als andere.
Allerdings sind diese beiden Erklärungen noch kein Grund dafür, dass die Menschen ihren Arbeitsweg nicht schon vor dem Streik optimiert haben. In Anbetracht der genannten Tatsachen müsste jeder rationale Akteur zumindest immer wieder einmal seinen Arbeitsweg variieren und experimentieren. Das tun aber nur die wenigsten, und so führen erzwungene Kreativität und Experimente oft zu besseren und rationaleren Lösungen, als wir sie aus Eigeninitiative generieren würden.
Zum Weiterlesen:
https://guykawasaki.com/steve-wozniak/
http://ftp.iza.org/dp1278.pdf
https://www.economics.ox.ac.uk/materials/papers/14046/paper-755.pdf
[i] Pendler wurden als Passagiere definiert, die im gesamten betrachteten Zeitraum vom 19. Januar bis zum 15. Februar 2014 an allen normalen Tagen und an mindestens einem Streiktag im Zeitraum von 7 bis 10 Uhr in der Früh die U-Bahn benutzt haben.
[ii] Dieser Durchschnitt enthält auch die 95%, die keine Zeitersparnis erlebt haben.
[iii] Laut der (in Deutschland durchgeführten) Studie müssten Pendler mit einem täglichen Arbeitsweg, der 23 Minuten dauert, um 19% mehr pro Monat verdienen, um den Verlust an Lebenszufriedenheit durch das Pendeln auszugleichen.
[iv] Dass sich die Pendler in den beiden Tagen einfach an den neuen Weg gewöhnt haben und ihn deshalb aus Gründen der Routine weiterverwenden, ist äußerst unwahrscheinlich, da eine Gewohnheit deutlich länger als 48 Stunden braucht, um sich zu etablieren.