text

Als-Ob-Modelle

Ein professioneller Billardspieler führt seine Stöße durch, als ob er die genauen physikalischen Formeln verstehen würde, die den Bewegungen des Balles, der Reibung auf dem Tisch et cetera zu Grunde liegen. Er handelt so, als ob er diese Formeln in wenigen Sekunden in seinem Kopf lösen könnte.

Jedem ist klar, dass der professionelle Billard-Spieler sich keine Gedanken um physikalische Zusammenhänge macht, wenn er seine Stöße durchführt. Allerdings kann man sein Verhalten und das Verhalten des Balles perfekt mit physikalischen Modellen erklären. Diese Modelle sind also zur Beschreibung des Verhaltens des Spielers geeignet, auch wenn er die Rechnungen nicht tatsächlich anstellt, sondern nur so tut als ob.

Einige Ökonomen, allen voran Milton Friedman, haben nun versucht dieses Als-Ob-Argument auf die Wirtschaftswissenschaften zu übertragen.

Dabei schlagen Ökonomen immer wieder Modelle vor, die weitaus komplexer sind, als die physikalischen Modelle des Billardspiels. Dann gehen sie davon aus, dass die Formeln dieser Modelle tatsächlich beschreiben, wie die wirtschaftlichen Entscheidungsträger ihre Entscheidungen treffen, wie also beispielsweise Finanzvorstände die richtige Mischung aus Eigen- und Fremdkapital für ihr Unternehmen ermitteln.

Natürlich ist den Wirtschaftswissenschaftlern klar, dass die Finanzvorstände diese Formeln in der Praxis nicht lösen, doch sie behaupten, dass die Finanzvorstände einfach so tun, als ob sie diese Formeln lösen würden. Mit diesem Argument können sie ihre komplizierten Modelle als welche verteidigen, die tatsächlich beschreiben, wie der Ursache-Wirkung-Zusammenhang in der realen Welt aussieht.

Genau dieses Argument kritisiert Paul Pfleiderer der Stanford University in seinem Paper „Chameleons: The misues of theoretical models in finance and economics“.[i]

Die Ökonomen bedenken nämlich nicht, dass das Als-Ob-Modell beim Billardspielen aus zwei entscheidenden Gründen so gut funktioniert. Erstens spielt ein professioneller Billardspieler in seiner Ausbildung eine sehr große Anzahl an Spielen und kann so seine Entscheidungsmechanismen über Hunderttausende Stöße verfeinern. Dabei erhält er nach jedem Spiel ein sofortiges Feedback. Er hat also einen sehr langwierigen unterbewussten Lernprozess im Zuge dessen sich im Unterbewusstsein sehr komplexe Entscheidungsmodelle entwickeln können. Diese Entscheidungsmodelle können durch die physikalischen Modellen sehr gut beschrieben werden.

Zweitens ist das Billardspiel ein Spiel. Die Rahmenbedingungen sind genau abgesteckt, die Umgebung ist bei jedem Spiel sehr ähnlich und man kann tatsächlich sehr gute physikalische Modelle entwickeln, die diese Situation optimal beschreiben.

Ein Finanzvorstand hingegen wird viele Entscheidungen in seinem Leben genau einmal treffen. Für die Bestimmung der richtigen Eigenkapitalquote hat er in seiner ganzen Karriere vielleicht 25 Entscheidungssituationen und selbst bei diesen wenigen Versuchen ist das Feedback niemals so direkt wie beim Billard. Ist der finanzielle Erfolg des Unternehmens tatsächlich auf seine Entscheidungen zur Kapitalstruktur zurückzuführen, oder auf andere Einflüsse?

Wie soll also ein CFO die komplexen Formeln und Regeln unterbewusst so lernen, dass er agiert, als ob er die Formeln tatsächlich kennen und lösen würde, wenn er so gut wie keinen Erfahrungsschatz hat, aus dem sein Unterbewusstsein diese Schlüsse ziehen kann?

Einige argumentieren damit, dass die Macht der Masse, das Gesetz der großen Zahlen eine Rolle spielt. Ähnlich wie bei vielen Schätzspielen ist der Mittelwert aller Schätzungen die beste Annäherung an den tatsächlichen Wert. Das gilt allerdings nur, wenn die verschiedenen Schätzer ein gewisses Gefühl für das Phänomen haben. Wenn 100.000 nicht mathematisch interessierte Personen schätzen, was die 85ste Nachkommastelle von Pi ist, wird der Durchschnitt ihrer Schätzungen reiner Zufall sein, also nicht besser wie eine einzige Schätzung. Wenn ein Ökonom nun so derartig komplexe Modelle zur Beschreibung des Verhaltens von Finanzvorständen heranzieht, dass keiner dieser Finanzvorstände diese Modelle auch nur ansatzweise verwendet, wird ihr Verhalten auch in der Masse nicht so sein, als ob sie die Rechnungen die dem Modell zu Grunde liegen tatsächlich gelöst hätten.

Das Übertragen von Als-Ob-Modellen von Spielen wie dem Billard und anderen natürlichen Situationen auf komplexe Situationen der Wirtschaft ist bei Ökonomen beliebt, da es erlaubt auch die kompliziertesten Modelle als deskriptive Darstellung der Entscheidungsmechanismen in der Wirtschaft zu nutzen. In den meisten Fällen sind Als-Ob-Modelle in der Wirtschaft aber unangebracht.

Zum Weiterhören und Weiterlesen:

https://www.econtalk.org/sabine-hossenfelder-on-physics-reality-and-lost-in-math/

https://onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1111/ecca.12295

https://www.econtalk.org/paul-pfleiderer-on-the-misuse-of-economic-models/

[i] Aus diesem Paper und dem Podcast mit Paul Pfleiderer bei EconTalk stammen die Gedanken und Beispiele für diesen Artikel. Es handelt sich um seine Gedanken, die ich hier paraphrasiert habe.