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Ehegeschenk als Krisenversicherung

„The vibrations created an earthquake known as a ‘megathrust’. It had a magnitude of 9.1, releasing 40 zettajoules of energy, enough to sustain global energy consumption for 80 years, and equivalent to 500 million Hiroshima atomic bombs. The shock that started just 50 km from the coast of Aceh […]” – Richard Davies in seinem Buch “Extreme Economies: Survival, Failure, Future – Lessons from the World’s Limits.”

2004 kam es im Indischen Ozean zu einem unterseeischen Megathrust-Erdbeben. Dieses Erdbeben – das drittstärkste Beben das jemals aufgezeichnet wurde – setzte eine Reihe an Tsunamis in Gang, die an den Küsten des indischen Ozeans zu verheerenden Folgen führten. Am gravierendsten wurde Indonesien getroffen. Rund um die indonesische Provinz Aceh kamen fast 170.000 Menschen ums Leben – 55 Prozent der dortigen Bevölkerung.

Diese Katastrophe hätte das Ende der ehemals wirtschaftlich starken Provinz Aceh bedeuten können. Doch das tat sie nicht. Binnen weniger Jahre haben die Bewohner 140.000 neue Häuser gebaut und eine florierende Wirtschaft von Restaurants, Cafés und Co. erschaffen. Natürlich halfen dabei auch Hilfsgelder aus anderen Ländern. Doch noch bevor die ersten Hilfsgelder und Entwicklungshelfer nach Aceh gekommen sind, hat das informelle kulturelle Versicherungssystem der Provinz über die größte Not hinweggeholfen.

Vor jeder Ehe muss der Mann in Aceh eine gewisse Menge an Gold ansammeln, was gerne auch als „Preis der Ehe“ bezeichnet wird. Doch im Gegensatz zu anderen Kulturen bekommen dieses Gold nicht die Eltern der Ehefrau, sondern die Ehefrau selbst. Der Wert dieses Geschenks entspricht in der Regel um die 2000 US-Dollar und kann gut in einem prunkvollen Armreifen aus Gold gelagert werden.

Die Bewohner von Aceh – wirtschaftlich geprägt von Fischerei und Landwirtschaft – sind es seit jeher gewohnt mit einer hohen wirtschaftlichen Volatilität umzugehen. Dabei ist das Handgelenksvermögen der Ehefrau der entscheidende finanzielle Versicherungsmechanismus der Familien. In Krisenzeiten verkauft man das Gold, in wirtschaftlich fruchtbaren Zeiten, reichert man seine Bestände wieder an. 2000 US-Dollar mögen dafür zwar etwas mager wirken, doch in Aceh kann man damit das Jahresgehalt eines Arbeiters bezahlen.

Dieses goldbasierte System existiert seit Jahrhunderten, funktioniert vollkommen informell und unreguliert. Jedenfalls waren die Goldhändler die ersten, die ihre Läden nach dem Tsunami wieder öffneten und damit den Weg zum Wiederaufbau bereiteten. Denn während Häuser und andere Vermögensgüter zerstört wurden, hat das Gold auf den Handgelenken der Frauen die Katastrophe überlebt.

Als die gesamte formelle Wirtschaft zusammenbrach, hat ein informelles, kulturell geprägtes Versicherungssystem Rückhalt geboten. Ein System, dass wir im Westen als ineffizient ansehen würden – wer würde schon so ein großes Vermögen mit sich herumtragen?

Doch genau solche Systeme führen zu der wirtschaftlichen Resilienz, die viele im Zuge der Covid-19 Krise so sehnlichst vermissen. Die Krise in Aceh bietet aber auch ein Beispiel für die positiven Effekte einer Katastrophe. Aceh wurde nicht nur wiederaufgebaut, Aceh wurde neu und besser aufgebaut. Viele neue Technologien erhielten Einzug, bessere Straßen wurden gebaut, endlich gibt es Toiletten mit fließendem Wasser. Auch einen Friedensprozess hat der Tsunami in Gang gesetzt, der jahrhundertelange Konflikte mit den Niederländern sowie dem Rest Indonesiens besänftigte.

Zum Weiterlesen:

Davies, Richard: Extreme Economies: Survival, Failure, Future. Lessons from the World’s Limits. London: 2019.