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Inter- und Intraaufmerksamkeit

In den letzten Jahren hat sich mit dem Medienkonsum auch der präferierte Modus der Aufmerksamkeit verändert. Während in früheren Dekaden das Lesen von Büchern und Artikeln einen großen Anteil des Medienkonsums ausmachte, spielen interaktive Medien wie Computerspiele sowie Videos und Filme eine immer größere Rolle. Soweit nichts Neues. Doch die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Nancy Katherine Hayles beschreibt in ihrem Essay „Hyper and deep attention: The generational divide in cognitive modes.“ wie dieser Trend einen Umschwung in Denkmustern mit sich bringt.

Mit dem Lesen von langen Texten trainiert man eine Art der Aufmerksamkeit, im Zuge derer man sich lange Zeit sehr intensiv auf eine Sache fokussiert und alle Ablenkungen ausblendet. Hayles bezeichnet das als „Deep Attention“, was durch den Begriff der Intraaufmerksamkeit – also der intensiven Aufmerksamkeit innerhalb einer einzigen Sache – treffend beschrieben wird.

Mit interaktiven Medien hingegen wird die „Hyper Attention“ trainiert – so etwas wie die Interaufmerksamkeit. Interaufmerksamkeit umfasst die Fähigkeit, schnell zwischen verschiedenen Fokuspunkten zu wechseln, um so eine möglichst hohe Bandbreite an Information zu verarbeiten.

Auch wenn die Interaufmerksamkeit in der Regel eher verpönt ist, und die Fähigkeit, sich sehr intensiv zu fokussieren, gerade im Bildungssystem oft belohnt wird, ist diese Einteilung in negativ/positiv zu einfach. Denn mit dem Medienkonsum hat sich auch unser gesellschaftliches Leben geändert und Interaufmerksamkeit ist eine immer wichtigere Fähigkeit.

Gleichzeitig ist Intraaufmerksamkeit immer noch die überlegende kognitive Verhaltensweise, wenn es um das Lösen von komplexen Problemen und das Verstehen von verzweigten Sachverhalten geht.

Wie soll also ein Bildungssystem diese beiden Formen des Denkens integrieren? Das ist vor allem eine Problematik, weil das Lehrpersonal noch viel mehr auf die Intraaufmerksamkeit trainiert ist, während sich Schüler mehr und mehr in der Interaufmerksamkeit wohlfühlen.

Die Lösung sieht Hayles darin, dass man den jeweiligen Gruppen das Unbekannte durch das Bekannte näherbringt. Man verbindet also beispielsweise Aspekte eines Videospieles mit Faktoren eines langen Textes, um von der Interaufmerksamkeit ausgehend die Intraaufmerksamkeit zu schulen.

Dadurch wird eine Anpassung an neue Gegebenheiten ermöglicht, frühere Fähigkeiten gehen nicht verloren und vor allem ergeben sich durch die Rekombination von Intra- und Interaufmerksamkeit eventuell ganz neue Denkmuster, die zu innovativen Lösungen und Ideen führen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://www.mlajournals.org/doi/abs/10.1632/prof.2007.2007.1.187

https://www.youtube.com/watch?v=ufrR98sR7XY