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Filterblasen – ein Ablenkungsmanöver

„Jeder weiß, dass die Algorithmen von Facebook, Twitter und You-Tube zur Teilung der Gesellschaft führen und damit die Demokratie gefährden. Was kann man also tun, um die Filterblasen zu bekämpfen?“ – der Konsens.

Gar nichts, denn was es nicht gibt, kann man nicht bekämpfen. Die aktuelle Studienlage deutet stark darauf hin, dass Filterblasen - in der Form einer privaten Nachrichtenkammer, in welche nur mehr Nachrichten gefiltert werden, die die eigene Meinung bestätigen und damit jegliche Diversität ausblenden – gar nicht existieren.

Vor allem große Studien wie der Digital News Report von Reuters mit gut 75.000 Befragten weltweit zeigen, dass die Diversität des Medienkonsums online oft sogar viel größer ist als offline.

Offline filtern die Menschen selbst sehr stark, konsumieren meist eine limitierte Anzahl an Zeitungen und Fernsehsendern, diese dafür umso intensiver. Online hingegen konsumieren die Menschen Nachrichten von einer viel breiteren Bandbreite an Anbietern, über alle politischen Spektren und Gesinnungsrichtungen hinweg. Das mag zum einen mit den geringen Kostenbarrieren zu tun haben – online kann ich einen Artikel kostenlos lesen, offline muss ich gleich die ganze Zeitung kaufen.

Zum anderen spielt aber auch der Filter der sozialen Medien eine Rolle. Gerade bei Menschen, die politisch nicht wahnsinnig interessiert sind, und auch sonst keine Nachrichten konsumieren, führen die sozialen Medien zu einem Anstieg des Nachrichtenkonsums.

Wirkliche Filterblasen entdecken nur kleine Studien, die entweder in-vitro durchgeführt werden oder sich auf ohnehin extreme Gruppen, wie Verschwörungstheoretiker, fokussieren, sodass ihnen die Repräsentativität für die Gesellschaft fehlt.

Achtung: Ablenkungsmanöver

Filterblasen gibt es also nicht oder zumindest nicht in einem relevanten Ausmaß. Probleme gibt es aber schon und genau von diesen lenkt die ständige Debatte rund um die Filterblasen ab.

Erstens ist die Bereitschaft für (digitale) Qualitätsnachrichten zu zahlen enorm gering, was immer zu Interessenskonflikten zwischen dem Kampf um Aufmerksamkeit und Qualitätsnachrichten führen wird. Selbst die New York Times mit einem sehr internationalen Fokus und wirklich günstigen Abos hat gerade einmal rund 3.5 Millionen reine Online-Abonnenten, wobei der digitale Umsatz der von Lesern und nicht Werbern stammt im Jahr 2019 um die 420 Millionen US-Dollar betrug. Das ist nicht wenig, im Vergleich zu Netflix, mit 167 Millionen Nutzern und einem Umsatz von mehr als 20 Milliarden, aber minimal.

Zweitens befindet sich das Vertrauen in die Medien, sowohl digital als auch analog, in den letzten Jahren auf einem stetigen Abwärtstrend.

Drittens ist die hochgepriesene Diversität nicht immer die Lösung für alles. In einer Studie aus dem Jahr 2018 zeigen Christopher Andrew Bail et al., dass eine erhöhte Diversität die Polarisierung in der Gesellschaft potentiell sogar erhöht. In ihrer, in den USA durchgeführten, Studie konfrontierten sie 548 Demokraten und 355 Republikaner 1 Monat lang mit täglichen Nachrichten des gegnerischen politischen Lagers. Das Resultat war nicht etwa mehr Toleranz, sondern ein Erstarken der eigenen politischen Position und das vor allem bei jenen, die die Nachrichten der anderen Seite besonders intensiv konsumiert hatten.

Auch der Digital News Report von Reuters zeigt, dass Online-Medien im Vergleich zu ihrem Offline-Pendant polarisierter sind. Ein Grund dafür mag sein, dass die Aufmerksamkeitsfilter von Facebook & Co. zwar nicht die Diversität reduzieren, aber populistische und polarisierende Inhalte begünstigen, da diese per Definition mehr Aufmerksamkeit bekommen.

Zum Weiterlesen und Weiterhören:

https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/risj-review/truth-behind-filter-bubbles-bursting-some-myths

https://www.youtube.com/watch?v=bTbZ2oqZ5jM

https://www.slideshare.net/EduardoSuarez87/the-truth-behind-filter-bubbles-bursting-some-myths

https://www.pnas.org/content/pnas/115/37/9216.full.pdf

https://pure.uva.nl/ws/files/29285427/beyond_the_filter_bubble_concepts_myths_evidence_and_issues_for_future_debates_1_.pdf

https://www.nytimes.com/2020/02/06/business/new-york-times-earning.html